Angst kann bei Kindern auf vielfältige Weise entstehen. Der dänische Philosoph Kierkegaard formulierte, Angst sei nur vor dem Hintergrund von Freiheit möglich. Die Freiheit, sich zu entfalten, Neues anzupacken, etwas zu wagen, hinaus in die Welt zu gehen, ist mit Angst verbunden – einer Angst, die herausfordert und konstruktiv und kreativ macht. Sich selbstbestimmten Aufgaben zu stellen, ist mit Spannung und Stress verknüpft, weil man scheitern kann, zugleich können so aber starke Gefühle von Selbstbewusstsein und Autonomie entstehen.

Angst Kinder„Über den Umgang mit Vernichtungsängsten“

Menschen, die nicht hinausgehen, um sich der Freiheit und der Angst zu stellen, werden nicht selbständig, entwickeln kein Selbstwertgefühl. Wer sich nicht selbstbestimmt dem Neuen stellt, weil er vor seiner Angst flieht, entwickelt eine Angst vor der Angst. Für diese Menschen ist Angst keine produktive Kraft, sie hemmt, macht krank.

Wenn ein Kind krabbeln und gehen lernt, löst es sich aus vertrauten Zusammenhängen. Das Kind stößt an räumliche Grenzen, die es überschreiten möchte – denn jenseits der Grenzen tun sich Freiheiten und Freiräume auf, die es erobern möchte. Für Kinder sind diese fremden Räume mit Lust und Angst verbunden, mit Lust auf Neues und Angst davor, sich in der Freiheit zu verlieren, keine Orientierung zu finden.

Das Kind entwickelt sich in den ersten Lebensjahren rasant. Mit jedem Entwicklungsschritt wird die Tür zum Leben weiter geöffnet – und dies fordert das Kind gefühlsmäßig heraus. Aber es lässt sich fordern, weil es weiß: Nur wenn ich aus der Tür gehe, mich neuen Erfahrungen und unbekannten Gefühlen stelle, finde ich Zutrauen zu mir, erfahre ich mich in meinen Fähigkeiten.

Das gilt vor allem für kindliche Vernichtungsängste. Diese binden sich an Urelemente: Gewitter, Blitz, Donner, Feuer oder Wasser, an irreale Wesen, Monster, Gespenster, Hexen, wilde Tiere oder an Phantasiefiguren, die sich Kinder ausdenken. Zwei gegenläufige Aspekte zeichnen diese Symbole aus:

  • Einerseits faszinieren sie. Kinder inszenieren die Kraft von Feuer und Wasser im Spiel. Manche sehen mit großen Augen, geborgen im Arm der Eltern, den Blitzen zu, hören den Donner und machen ihn mit Geräuschen laut nach. Kinder verkleiden sich als Superman und als kleiner Vampir, um stark zu erscheinen.
  • Andererseits erschrecken Urelemente und irreale Wesen die Kinder. Zwar glauben sie an die Kraft der eigenen Magie und Phantasie, diese Urelemente zu beherrschen, aber es bleibt ein letzter Rest an Unsicherheit, dass dieses Potential nicht ausreicht, dass die Wesen doch zu mächtig sein könnten. Dann erweist sich die nächtliche Flucht ins elterliche Bett als einzige Überlebensalternative.

Hilfe, ich habe Angst vor dem Gespenst!

Die Entdeckung des eigenen Körpers hat für die Kinder zur Folge, dass sie sensibler für physische Gefahren werden, die ihnen drohen. Zwar ahnen sie ihre Stärke – aber das reicht manchmal nicht, um sich vor den übernatürlich-phantastischen Geschöpfen, die das Kind verletzen, in es eindringen, die es zerstören wollen, wirklich sicher zu sein. Diese Geschöpfe sind eine Herausforderung für die Eigenständigkeit und für die körperliche Unversehrtheit.

Je jünger die Kinder sind, umso heftiger empfinden sie Vernichtungsängste, weil ihre Identität nur unzureichend entwickelt ist, sie sich ihrer selbst noch nicht sicher sind. Solche Ängste begleiten Kinder vom zweiten Lebensjahr an, und sie suchen intensiv nach Wegen, ihnen ein Gesicht zu geben, um sie dem diffusen Licht der Nacht zu entreißen, das die Bedrohlichkeit der Figuren und ihre Unheimlichkeit nur steigert. Spiel und Phantasiefiguren sind dabei legitime und wichtige Begleiter des Kindes auf diesem Weg.

Die sechsjährige Simone erzählt, als man sie ins Bett bringen will, sie habe manchmal Angst vor Gespenstern, die sie nachts im Zimmer besuchen würden. Neulich habe sie eine wehende Gardine gesehen und gedacht, das wäre ein böses Gespenst. „Da habe ich schnell Licht angemacht, und das Gespenst war verschwunden!“

Als die Mutter das hört, sagt sie ihrer Tochter, wie toll sie das gemacht hat, das Gespenst zu vertreiben. Aber dass es auch normal wäre, wenn man vor Gespenster Angst hat, denn das wäre das Gemeine an denen, die kämen nur nachts, wenn es dunkel wäre, um einen zu erschrecken.

Angst ist ein Gefühl. Einmal sind Ängste diffus, man weiß nicht genau, wovor man Angst hat, ein anderes mal binden sich Ängste an Vampire, an Geister, an Räuber, an Tiere, an Schatten oder an laute Geräusche.

Und Angst ist körperlich zu spüren: im Herzklopfen, im Erröten, in der Blässe, im Stottern oder in Verhaltensunsicherheit.

Da Ängste Gefühle sind, kommt man ihnen mit Rationalisierung nicht bei. Sätze wie etwa „Du brauchst doch keine Angst vor Gespenstern zu haben!“ oder „Das ist doch nicht schlimm!“ nehmen Kinder in ihren Ängsten nicht ernst. Formulierungen wie „Nun stell dich nicht so an!“ lassen Kinder allein oder führen dazu, dass Kinder ihre Ängste verdrängen oder verleugnen.

Das Recht Angst zu haben

Kinder haben ein Recht darauf, Angst zu haben. Und sie haben ein Recht darauf, Ängste auszuleben und zu verarbeiten. Daher gilt: Je mehr sich ein Kind geborgen fühlt, je mehr Selbstvertrauen es hat, umso sicherer und eigenständiger geht es mit den Ängsten um.

Die Eltern können Kinder bei der Angstverarbeitung unterstützen:

  • Geben Sie dem Kind Sicherheit und Verlässlichkeit.
  • Ein Kind, das Angst hat, muss ernst genommen werden. Es hat es nicht verdient, dass sein Angst heruntergespielt wird.
  • Geben Sie den Kindern durch Rituale und Regeln Sicherheit im Umgang mit Ängsten. Bedenken Sie: Ängste kommen schnell, vergehen aber meistens nicht von heute auf morgen.

Aber: Kinder müssen bei der Angstbewältigung mithelfen, sonst macht man sie unselbständig. Ängste kreativ zu verarbeiten, stellt eine Herausforderung für Eltern wie für Kinder dar.

Eine andere Situation:

Der fünfjährige Jonas steht mit seinem Vater vor einer riesigen Geisterbahn, guckt mit großen Augen die blinkend-funkelnden Monster an. „Willst du da rein?“, fragt der Vater. Jonas wirkt unschlüssig. Er hört Gekreische und Gejuchze aus dem Inneren. „Komm!“, ruft Jonas plötzlich, zieht seinen Vater zur Geisterbahn. Sie besteigen einen Wagen. Jonas drückt sich fest an seinen Vater. Als er die ersten Gespenster sieht, hält er sich die Hände vors Gesicht, lässt sie aber einen kleinen Spalt offen, damit er die kleinen und großen Schreckensgestalten sehen kann. Er schreit laut auf. Fast hat es den Anschein, als wolle er die gruseligen Monster erschrecken. „Na?“, fragt der Vater, als die Fahrt zu Ende ist und er die schweißnassen Hände seines Sohnes spürt. „Spitzenklasse!“, ruft Jonas begeistert. Dann schmunzelt er: „Und die Gespenster waren feige. Immer, wenn ich ‚Weg!‘ gerufen habe, waren sie weg!“ „Und?“, fragt der Vater lachend. „Jetzt wollen wir wieder rein“, sagt Jonas selbstbewusst. „Mal sehen, ob die Gespenster immer noch feige sind.“

Die Lust an der Angst

Jonas braucht die Begegnung mit den Gespenstern, um sich danach stark und mutig zu fühlen. Allerdings sagt man ihm auch: „Nur noch einmal. Dann ist Schluss für heute!“

Manche wissen nicht, wie man die Wünsche von Jonas deuten soll, sind hin- und hergerissen zwischen „Ja!“ und „Nein!“, geben aber dem Drängen von Jonas mit einem „Meinetwegen!“ nach, haben dabei aber ein verdammt ungutes Gefühl.

In der Lust an der Angst verbinden sich unbewusst gefühlsmäßige Nähe und wirkliche Gefahr. Dies ist für ein Kind nur deshalb auszuhalten, weil es um den Ablauf der damit einhergehenden Erregung weiß: Das Kind ist mit Haut und Haaren beteiligt, fühlt und geht mit, es spürt seinen Körper. Aber mit dem Erreichen eines Erregungsgipfels ist zugleich die Hoffnung auf angenehme Empfindungen während des Erregungsabbaus verbunden. Kinder atmen tief durch, lachen, toben, geben der Nervenanspannung Ausdruck: „Das war spannend!“ Die Nacherzählungen, die Nachspiele zeugen von der Gefühlsintensität, machen deutlich, wie Kinder nun das innere Gleichgewicht wiederherstellen müssen, weisen aber auch stolz darauf hin, solch spannende Erlebnisse – auch körperlich – durchgestanden zu haben.

Die Lust an der Angst macht Spaß, weil sie die Gewissheit bietet, in den Alltag zurückkehren zu können. Sie bleibt überschaubar, weil sie an eine bestimmte Situation gebunden ist. In der Lust an der Angst steckt die Sehnsucht nach Neuem. Ein geheimnisvolles Prickeln, dass etwas schiefgehen könnte, ist verbunden mit der unverbrüchlichen Gewissheit, dass es gut ausgehen wird.

Von Angstlust kann man sprechen, wenn einige Grundvoraussetzungen zugleich gegeben sind:

  • Das Kind setzt sich freiwillig einer gefährlichen, gefühlsmäßig verunsichernden Situation aus, die einem vertrauten und gewohnten Schema unterliegt. Jonas weiß um die Anwesenheit seines Vaters, er ahnt, dass es ein Happy End geben wird.
  • Es existiert eine äußere, objektive Gefahr, die Gespenster. Das Kind lässt sich auf das Spiel ein und verzichtet auf gewohnte Sicherheit.
  • Das Wissen um und das Vertrauen auf einen positiven Ausgang de Spiels lässt die Lust an der Angst erträglich werden.

Ängste fordern heraus, können schöpferische Kräfte mit sich bringen, stark und lebenstüchtig machen. Sich Ängsten zu stellen, sie mit eigenen, manchmal ungewöhnlichen Methoden zu bewältigen, in das Leben zu ziehen, um das Fürchten zu erleben und den Umgang damit zu lernen, stellt eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben zwischen dem dritten und zehnten Lebensjahr sind. Mit der Ausdifferenzierung entwicklungsbedingter Ängste geht auch die Ausbildung von Fähigkeiten zur Angstbearbeitung einher, wenn Eltern die Kinder gewähren lassen, sie gar dazu ermutigen und sie diese Fähigkeiten nicht durch Überbehütung einschränken.

Tipps für Eltern zum Umgang mit der Angst ihrer Kinder

Aus diesen allgemeinen Prinzipien lassen sich drei Regeln zur Angstbewältigung ableiten:

  1. Regel: Lassen Sie sich die Gespenster durch Ihr Kind beschreiben. Hören Sie aktiv zu, geben Sie dem Kind das Gefühl von Nähe. Fragen Sie nach, um zu erkennen, was das Kind meint, wo es gedanklich steht, mit welchen Phantasien und Bildern es sich herumschlägt.
  2. Regel: Überlegen Sie nach der Schilderung Ihres Kindes, wo die Ursachen der Ängste liegen können. Stellen Sie sich folgende Fragen: Sind die Ängste des Kindes Ausdruck eines Entwicklungsschrittes? Könnten die Ängste etwas zu tun haben mit Veränderungen in der familiären Situation?
  3. Regel: Nun kommt es darauf an, ob die Eltern bzw. das Kind eigene Möglichkeiten zur Angstbewältigung haben. Dies funktioniert insbesondere bei entwicklungsbedingten Ängsten. In jedem Fall muss das Kind zur Mitarbeit gewonnen werden. Sind die Ängste schwerwiegender, ist es unumgänglich, einen Arzt, einen Therapeuten oder Erziehungsberater zu Rate zu ziehen. Letzterer kann auch hilfreich sein, wenn sich Eltern unsicher oder überfordert fühlen.

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