Das Kind alleine zu Hause lassen. Ab wann kann man sein Kind eigentlich wie lange alleine lassen? Diese Frage treibt viele Eltern um. Sie sind verunsichert, hin und hergerissen zwischen zwei Polen: Auf der einen Seite spüren sie die Verantwortung, die sie für das Kind haben, auf der anderen Seite möchten sie ihr Kind aber nicht einengen, ihm seinen Bewegungsraum beschneiden.

Kinder alleine lassen„Geht ruhig! Ihr könnt mich ruhig allein zu Hause lassen.“

„Ich bin da absolut unsicher“, erzählt die Mutter der sechsjährigen Anna, „manchmal sagt sie, ich könne ruhig zum Einkaufen gehen, sie alleine zu Hause lassen.“ Und wenn ich dann zurückkomme, dann sitzt sie da wie „ein Häufchen Elend, Tränen fließen. Sie umklammert mich, will mich nicht mehr loslassen.“ Die Mutter schüttelt ihren Kopf: „Und ein paar Tage später darf ich wieder gehen.“ Sie schaut ernst drein: „Ich gehe mit schlechtem Gewissen, komme zurück und Anna sitzt fröhlich im Wohnzimmer. Nimmt mich nicht einmal wahr, wenn ich komme. Das verstehe ich nun einer.“

„Mein Johannes, der ist gerade sieben geworden, der lässt mich überhaupt nicht los“, beobachtet seine Mutter. „Meinen Mann auch nicht. Wenn ich den mal so mit seinen Freunden vergleiche, dann ist Johannes ein absolut ängstliches Kind. Aber vielleicht bin ich ja auch ängstlich und übertrage mein Verhalten auf meinen Sohn. Also, den kann ich nicht mal fünfzehn Minuten alleine lassen!“ Sie überlegt: „Wenn wir mal ins Theater gehen, haben wir eine Babysitterin, die Johannes kennt.“ Das ginge dann, aber er würde erst einschlafen, wenn wir wieder das Haus betreten: „Solange liegt der wach!“

Man wäre da schon „irgendwie in einem Zwiespalt“, sagt Manuel Weber, der Vater zweier Söhne, fünf und neun Jahre alt. „Da willst du nicht ständig der Kontrolleur deiner Kinder sein, willst ihren Freiheit geben, etwas zutrauen, bist in die Pflicht genommen. Die nimmt dir keiner ab.“

Alleine lassen und selbständig werden

Recht hat er! Denn die Sache mit der Aufsichtspflicht hat ja so seine Bewandtnis und treibt vielen Eltern die Schweißperlen auf die Stirn. Vater und Mutter zerbrechen sich den Kopf, das Möglichste für die Kinder zu tun, wollen das Beste, lassen sie kaum aus den wohlmeinenden Augen und schon gar nicht alleine. Zugleich wird aber im Bürgerlichen Gesetzbuch eine Erziehung eingefordert, die die Selbständigkeit des Kindes garantiert. „Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsenden Fähigkeiten und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigen, verantwortungsbewussten Handeln.“ Eltern sind also gefordert. Sie müssen einen Spagat beherrschen: Hier die Wahrnehmung einer Erziehungsverantwortung, dort dem Kind das Alleinsein, das Leben zuzutrauen.

Wie Vater und Mutter sind die Kinder zugleich hin und hergerissen, wenn die Kinder mal allein im Haus oder in der Wohnung zurückbleiben.

Er finde es schon „cool“, schmunzelt der achtjährige Ben, „wenn meine Eltern mich alleine zu Hause lassen.“ Aber eigentlich wäre das „nur tagsüber schön. Wenn es draußen dunkel ist, so im Winter“, dann wäre es schon toll, „wenn die Tür aufgeht und Mama wieder da ist!“

Die siebenjährige Pia hat da eine vergleichbare Erfahrung gemacht: „Wenn ich mal alleine zu Hause bin, dann komme ich mir sehr erwachsen vor. Dann kann ich machen, was ich will, auf dem Bett liegen, mal nichts tun, einfach mich langweilen.“ Sie denkt nach: „Aber irgendwann schaue ich auf die Uhr, weil meine Eltern eine Uhrzeit gesagt haben, wann sie wieder da sind!“ Pia lächelt. „Ich finde es schön, wenn sie vorher da sind.“ Neulich hätten sich ihre Eltern mal verspätet, die wären „zehn Minuten zu spät gekommen“, entrüstet sich Pia. „Da habe ich mir Sorgen gemacht und habe die beiden ausgeschimpft. Von mir verlangen sie, dass ich pünktlich bin. Und selber machen die so etwas!“

Kinder haben zum Alleinsein eine sehr differenzierte Einstellung. Aus ihren Kommentaren wird aber zugleich deutlich, welche Rahmenbedingungen die Abwesenheit von Vater und Mutter erträglich werden lassen.

Viele Kinder empfinden sich als „groß“, wenn Erwachsene sie alleine lassen, wenn sie nicht ständig der Kontrolle und der Beobachtung durch Eltern unterworfen sind, einfach nur für sich sein, um sich eigenen Träumen, Fantasien und Wünschen hinzugeben. Das ist die eine Seite der Medaille. Aber da gibt es noch eine andere: Sich dem Alleinsein hingeben, Eltern „ruhig gehen“ zu lassen, können die Heranwachsenden nur, wenn sie in einer Umgebung aufwachsen, die ihnen Verlässlichkeit verspricht und garantiert. „Ruhig“ können Eltern nur sich dann auf den Weg machen, wenn die Kinder wissen, wo die Eltern sind und wann sie verbindlich zurückkommen. Gegenseitige Absprachen und Vereinbarungen sind unerlässlich.

Ab wann darf ich denn mein Kind mal alleine lassen?“

Doch gilt es noch zwei weitere Gesichtspunkte zu bedenken, ob man sein Kind alleine lassen kann. Da ist das Alter des Kindes. Unter drei Jahren sollte kein Kind unbeaufsichtigt sein, zwischen drei und fünf Jahren, kann man es bis zu dreißig Minuten alleine lassen, wenn man im Wohnzimmer mit Bekannten sitzt. Und ab sieben Jahren können es sogar zwei Stunden sein. Wichtig ist dann die Erreichbarkeit der Bezugspersonen. Und es muss eine Rückkehrzeit vereinbart sein, die unbedingt eingehalten werden muss.

Neben dem Alter spielt der emotionale Entwicklungsstand des Kindes eine gewichtige Rolle. Ängstliche oder verunsicherte Kinder brauchen länger, um sich auf das Alleinsein einzulassen. Man darf Kinder nicht überfordern. Das verschärft die Situation.

Manche Eltern fragen sich dann, ob sie denn nie mal etwas machen können, weil Kinder sie nicht loslassen würden. Was ängstliche Kinder brauchen, um einsame Situationen auszuhalten, sind Bezugspersonen, die ihnen Verlässlichkeit und Bindung geben. Das können die Großeltern, das können Nachbarn, das kann der Babysitter sein.

Eltern können beruhigt Ihre Kinder alleine lassen, wenn sie einige Tipps beherzigen:

  • Da gilt zunächst das Alter des Kindes zu berücksichtigen. Ab dem Schulalter kann man damit beginnen Kinder alleine zu lassen.
  • Aber auch die gefühlsmäßige Verfassung des Kindes spielt eine wichtige Rolle. Es gibt Kinder, die benötigen mehr Zeit, sich auf das Alleinsein einzulassen.
  • Es gilt, Absprachen zu treffen, wann man als Vater und/oder Mutter wieder zu Hause sein wird. Diese Absprachen sind verbindlich. Wer sie nicht einhält, wird vom Kind zukünftig nicht losgelassen.
  • Man muss erreichbar sein. In Zeiten des Mobiltelefons ist das einfacher als zu früheren Zeiten.
  • Mit dem Kind über Personen reden (z.B. Nachbarn), die es kontaktieren kann, wenn es Angst hat.
  • Dem Kind sagen, die Tür nicht zu öffnen, wenn es klingelt. Aber auch: die Tür nicht abzuschließen. Dann fühlt sich das Kind eingesperrt.
  • Das Kind an das Alleinsein allmählich gewöhnen. Man fängt mit kurzen Zeiträumen an und erweitert sie dann.

Kinder sind stolz auf sich, wenn sie ihre Eltern mal „ziehen“ lassen. Aber genießen können sie das nur, wenn sie wissen, die Eltern kommen verlässlich zurück.

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