Es ist das große Ziel: Eltern wollen Geschwister gleich behandeln. Es interessiert Kinder aber nur unwesentlich, dass die Eltern meist versuchen, ihre Liebe gleichmäßig auf alle Kinder zu verteilen. Kinder bewerten Eltern im alltäglichen Handeln: dass der größere Bruder länger aufbleiben darf, dass die Mutter der kranken Schwester mehr Aufmerksamkeit gibt, dem langsameren Bruder länger bei den Hausaufgaben hilft, sich dem schmächtigeren Geschwisterkind gegenüber toleranter beim Essen verhält, der stilleren Schwester geduldiger gegenübertritt. Eltern lieben alle Kinder gleichermaßen, aber sie verhalten sich ungleich. Und das ist ebenso normal wie lebensnotwendig.

Geschwister gleich behandeln liebe geschwisterkinder„Geschwister nicht gleich behandeln, ihnen vielmehr gerecht werden.“

Kinder und Eltern nehmen einander höchst unterschiedlich wahr – was die Eltern manchmal als ausreichend und gerecht empfinden, beurteilen Kinder oft ganz anders. Elterliche Zuwendung ist aus der Sicht der Kinder keine Frage der Quantität, des Zeitmaßes, sie ist eine Frage der Qualität. Deshalb beobachten Kinder ganz genau, ob Vater und Mutter die anderen Geschwister gleich behandeln. Und sie schauen darauf, ob die Eltern bestrebt sind, Zuspruch und Zuwendung gleichmäßig auf alle Kinder zu verteilen. Dabei schätzen sie elterliches Handeln höher ein als Worte.

Es interessiert sie nur unwesentlich, dass die Eltern meist versuchen, ihre Liebe gleichmäßig auf alle Kinder zu verteilen. Kinder bewerten Eltern im alltäglichen Handeln: dass der größere Bruder länger aufbleiben darf, dass die Mutter der kranken Schwester mehr Aufmerksamkeit gibt, dem langsameren Bruder länger bei den Hausaufgaben hilft, sich dem schmächtigeren Geschwisterkind gegenüber toleranter beim Essen verhält, der stilleren Schwester geduldiger gegenübertritt.

Eltern lieben alle Kinder gleichermaßen, aber sie behandeln Geschwister oft ungleich. Und das ist ebenso normal wie lebensnotwendig: So braucht das neugeborenen Kind eine andere, intensivere Begleitung als das ältere Kind im Trotzalter; so benötigt das Kind, das gerade in den Kindergarten kommt, andere Formen der Nähe als die Schwester, die die Einrichtung schon seit Jahren besucht.

Gerade die Verschiedenheit der Situationen macht ein differenziertes Handeln notwendig. Das wirkt aus der Sicht eines betroffenen Kindes nicht unbedingt gerecht. Klagen und Quengeln sind die Folge. Man sollte bedenken: Selbst wenn man es schafft, es alle Kinder gleich zu behandeln, bleibt eine Person übrig, der man nicht gerecht wird – sich selbst!

 

Geschwister schlüpfen in Rollen um Aufmerksamkeit zu erhalten

Eltern weisen Kindern bestimmte Rollen zu. Und umgekehrt merken Kinder, welche Rollen sie in einer Familie besetzen können, um beachtet zu werden, um nicht unterzugehen.

Kinder wollen sich voneinander abgrenzen. Und ihr Alter, ihr Geschlecht, ihr Temperament unterscheiden sie. Konflikte sind vorprogrammiert. Man hat lange Zeit über die Bedeutung der Geschwisterposition für das Leben eines Kindes nachgedacht. So prägend sie auch sein mag, letztlich scheint doch der psychosoziale Rahmen bedeutsamer, in dem Geschwister aufwachsen: Trennungs- und Scheidungserfahrungen, Krankheit oder Tod in der Familie, Umzug, die Beziehung der Eltern oder die Bedeutung der Großeltern. Nicht zu vergessen sind die Eigenschaften, die Kinder schon mit auf die Welt bringen. Sie sind beschriebene Blätter, aber welches Buch des Lebens daraus wird, das bestimmt letztlich die Erziehung.

Kinder entdecken schnell jene Seiten des Familienskripts, die noch nicht verfasst sind. Und sie füllen dann die bis dahin leeren Kapitel.

Wenn man sich mit Eltern unterhält, aus welchen Gründen sie ihre Kinder gleich behandeln, dann kommt schnell die Antwort, man wolle Ungerechtigkeiten aus dem Wege gehen, Streitigkeiten, Eifersüchteleien vermeiden. Doch das Vorhaben muss scheitern. Kinder wollen sich unterscheiden, sich als eigenständige Persönlichkeiten gewürdigt sehen. Kinder grenzen sich auf unterschiedliche Weise voneinander ab, um nicht gleichbehandelt zu werden.

Denkt man über die Rivalität zwischen älteren und  jüngeren Geschwistern nach, denkt man unwillkürlich an deren aggressives Erscheinungsbild: Das ältere Kind beherrscht das jüngere, zwingt ihm seinen Willen auf, ist darauf aus – mit welchen Mitteln auch immer –, den gebührenden Abstand zu wahren. Und dabei spielt es keine Rolle, wie groß der zeitliche Abstand ist: Rivalität ist ein Gefühl, das im älteren Kind wirkt – ausgelöst durch Unsicherheit, Ratlosigkeit, ja Hilflosigkeit. Deshalb streitet es, zankt es, verhält es sich wenig sozial und kaum situationsangemessen. Das ältere Kind spürt: Wenn ich normal, nett handle, halten mich alle für vernünftig, übersehen mich alsbald – „Dann sieht mich kein Schwein“, wie der neunjährige Martin mir einmal erzählte, „aber wenn ich meinen jüngeren Bruder an den Haaren ziehe, kratze, dann kommt meine Mutter sofort.“ Ältere Kinder handeln mithin nach dem Motto: Besser eine negative als überhaupt keine Zuwendung.

Zwei weitere Formen der Eifersucht übersieht man häufig, verschwinden sie doch nicht selten hinter der grellen Fassade, mit der die aggressiv-störende Variante daherkommt. Nicht jedes Kind geht mit dem jüngeren in einen Machtkampf. Manch älteres Kind nimmt einen Opferposition ein, lässt sich manches, ja vieles vom jüngeren Bruder, der jüngeren Schwester gefallen. Es setzt sich nicht zur Wehr, obgleich es das körperlich oder intellektuell vermag. Sie stellen sich als unmündige, unselbständige Wesen dar, die an den Helferreflex der Eltern appellieren.

 

Kinder sind nicht gleich und können nicht gleich behandelt werden

Wieder andere Kinder holen sich elterlichen Zuspruch, indem sie sich als ein besonders vernünftiges, selbständig handelndes und durchblickendes Wesen geben, das sich konstruktiv und unterstützend in den Familienalltag einbringt und hier vor allem die Mutter in ihrer Erziehungsverantwortung unterstützt. So gewinnt es schnell Achtung und Respekt in der Umgebung. Alle bewundern die sozial-fürsorglichen, die empathisch-mitfühlenden Kompetenzen der Älteren. Meist sind es Mädchen, die in die Rolle der Helferin schlüpfen und sich dabei nicht selten emotional überfordern. Sie möchten mehr, als sie zu geben vermögen – sie kränkeln, schwächeln, schon die kleinste Erkältung wirft sie manchmal um, zwingt sie ins Bett, setzt sie außer Gefecht. Und auch damit erhalten sie wieder Zuwendung. Sie lassen sich „hängen“, pflegen, machen sich „klein“, um dann wieder für neue Taten gerüstet zu sein.

„Gute Worte“ bringen die Rivalitäten nicht zum Verschwinden. Und ständige Beteuerungen wie „Wir haben dich doch genauso lieb!“ oder „Du bist unser Größter, du darfst doch schon viel mehr!“ helfen auch nicht weiter. Das älteste Kind fühlt sich in seiner Stellung, seiner Position bedroht. Es braucht Sicherheiten, und die können in Ritualen aufgehoben sein.

Ein Ritual zeichnet sich durch vier Bestandteile aus:

  • Eine Regelmäßigkeit, gebunden an einen Zeitpunkt und einen Ort (feste Uhrzeit, festgelegter Raum).
  • Einen Anfang, einen bestimmten, sich wiederholenden Ablauf und ein Ende.
  • Die Verlässlichkeit. Kinder müssen darauf vertrauen können, dass das Ritual auch wirklich stattfindet. Wenn es häufiger ausfällt, verliert das Ritual an Bedeutung, wird beliebig.
  • Die Inszenierung. Vater oder Mutter und das Kind lassen sich aufeinander ein, die Eltern und die Kinder finden zueinander. Das Kind muss aber das Gefühl haben, es hat die Eltern ganz für sich. Dies ist besonders wichtig, wenn es darum geht, ältere Kinder in ihrer Eifersucht zu begleiten.

All dies mag man beherzigen – und trotz allem gibt es Phasen, in denen die Rivalität zwischen Geschwistern hochkocht: Wenn ein Geschwisterkind auf die Welt kommt und sich damit das familiäre Beziehungssystem wandelt. Dabei taucht Rivalität nur selten während der Schwangerschaft oder unmittelbar nach der Geburt auf. Erlebbar wird die Rivalität erst, wenn das neue Familienmitglied krabbeln oder laufen lernt, mithin in das Gesichtsfeld und den Dunstkreis der älteren Geschwister eintritt.

Trennungs- und Abgrenzungsversuche gestalten sich dann besonders vehement, wenn das ältere Kind die Schule besucht, das jüngere Kind noch in den Kindergarten geht, oder das ältere Kind in die Pubertät kommt, die jüngeren noch „grün“ um die Nase sind. Während die jüngeren Geschwister stolz darauf sind, den älteren Bruder oder die große Schwester anhimmeln, empfinden diese die „Kleinen“ nur als ätzend und fürchterlich.

 

Geschwisterrivalität ist normal

Geschwisterrivalität stellt sich für mich als etwas Normales dar. Kinder versuchen, sich abzugrenzen, eine eigene Identität aufzubauen. Der Erziehungsgrundsatz, wonach man alle Kinder gleich erziehen muss, widerspricht dem Grundsatz, jedes Kind so anzunehmen, wie es ist, es eben als eine ganz eigenständige Persönlichkeit zu begleiten. Das ältere Kind braucht eine andere Unterstützung als das jüngere, das mittlere eine andere als die beiden anderen zusammen. Und Unterstützung misst sich nicht an Quantität – manchmal hat ein Weniger an Begleitung eine höhere Intensität, als sich ununterbrochen um ein Kind zu sorgen.

 

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