Kinder müssen in die Welt hinaus, sie müssen sich aus vertrauten Zusammenhängen lösen, um sich zu einer eigenständigen Person zu entwickeln. Es gibt keine Entwicklung, ohne aggressiv zu sein.

aggression kinder aggressiv„Warum müssen die immer gleich so aggressiv werden?“

Aggression im ganz ursprünglichen Sinne des Wortes – aggredere heißt „auf jemanden zugehen, etwas Neues beginnen, eine Aufgabe anpacken“. Das bringt viele Eltern in Erklärungsnöte, treibt ihnen bisweilen Schweißperlen auf die Stirn. Man ist hin und hergerissen in seiner Erziehungsaufgabe: Da will man einerseits das selbstbewusste, autonome Kind, das seinen Weg geht, da will man andererseits aber auch das pflegeleichte, das einsichtige, das vernünftige Kind. Das ist ein Spagat, an dem Eltern scheitern, an dem sie scheitern müssen. Kinder machen nicht vor einer Grenze halt, sie reiben sich an Grenzen, um sie zu erkunden, wie weit sie gehen dürfen, vor allem aber, was passiert, wenn sie nicht so handeln, wie es sich die Eltern wünschen. Dies betrifft insbesondere den Umgang mit den unterschiedlichsten Formen kindlicher Aggressionen. Darauf geht dieser Beitrag ein, in dem unterschiedlichste Situationen vorgestellt und kommentiert werden.

Die vielen Gesichter kindlicher Aggression

Beißen und Schlagen

Paul ist mit seinen zwei Jahren schon Spielplatz-bekannt. Wenn Pauls Mutter mit ihm an der Sandkiste auftaucht, dann bemerkt sie schon an den erschreckten Gesichtern der anderen Mütter: „Hilfe, jetzt kommt Paul.“ Paul ist aggressiv und ist als „Beißmonster“, so hat ihn eine Mutter einmal tituliert, bekannt. Viele Kinder mögen ihn, nur nicht die Mütter dieser Kinder.

Kinder zwischen eineinhalb und drei Jahren können noch nicht „Nein!“ sagen; ihnen fällt es schwer, sprachlich Grenzen zu setzen. Dies machen sie vielmehr handgreiflich: Die einen schubsen, die anderen spucken, die dritten kratzen, die vierten schlagen, und schließlich gibt es Kinder, die beißen.

Beißen erfolgt meist aus einem Reflex heraus. Statt dem Kind ständig vorzuhalten, es dürfe nicht beißen, ist es besser, ihm einen Gegenstand zu geben, in den es, wenn es wütend ist, hineinbeißen kann. Da das Beißen einem Reflex unterliegt, wird das Kind Aufforderungen wie „Du darfst nicht beißen!“ oder „Du sollst doch nicht beißen!“ kaum befolgen. Pragmatisch ist ein Satz wie: „Wenn du wütend bist, dann beiß in deinen Knochen!“ Damit wird die Attacke so umgelenkt, dass sie anderen nicht schadet.

Drei Strategien haben sich bewährt im Umgang mit dem Kratzen, Schubsen, aber auch dem Beißen, denn gänzlich verhindern kann man diese wenig sozialen Handlungsmuster sowieso nicht.

  • Auch wenn Sie gefühlsmäßig geladen sind, vermeiden Sie es, das Kind anzuschreien, denn das führt eher zu einer Trotzreaktion.
  • Sollten Sie bemerken, dass Ihr Kind sich in der Sandkiste oder auf dem Spielplatz nicht an die vereinbarten Regeln hält, holen Sie es kurz aus dem Spiel heraus. Solch eine Auszeit, die natürlich vorher vereinbart sein muss, kann eine Eskalation verhindern.
  • Vermeiden Sie es, Ihr Kind vor anderen Kindern zu demütigen, indem Sie es mit lauten Worten zurechtweisen.

 

Schubsen und Wegstoßen

Frederik, drei Jahre, geht in den Kindergarten. Er ist dort beliebt, aber zugleich gefürchtet, weil er anscheinend grundlos aggressiv wird und andere Kinder schlägt, schubst oder wegstößt, wenn ihm etwas nicht passt. „Er hat überhaupt keine Frustrationstoleranz, keinen Respekt vor anderen Kindern“, so der Vater ratlos, „weiß gar nicht, was er mit seinen Kräften anrichten kann.“ „Und wenn wir schimpfen“, so die Mutter, „sagt er, es täte ihm leid, aber einen kurzen Augenblick später setzt er sein aggressives Verhalten fort.“

Dem Verhalten von Frederik liegen drei Faktoren zugrunde: Da sind zunächst einmal jene körperbetonten Aggressionen, die für diese Entwicklungsphase so typisch sind. Frederik setzt sich physisch mit anderen Kindern auseinander. Hinzu kommt ein zweiter Aspekt: Frederik hat gelernt, wie man mit Aggressionen Aufmerksamkeit bekommt, und zieht nun die Eltern und die Erzieherinnen in einen Machtkampf hinein. Er führt die Erwachsenen im wahrsten Sinne des Wortes vor. Zum Dritten hat Frederik noch nicht gelernt, angemessen mit Frustrationen umzugehen. Reifung und Entwicklung eines Kindes haben immer auch mit Grenzüberschreitungen zu tun. Eltern wollen ein selbstbewusstes, eigenständiges Kind – aber dazu gehört auch, sie mit ihren aggressiven Persönlichkeitsanteilen anzunehmen. Zwei Verhaltensweisen können für Frederik wie für andere Kinder auch wichtig werden:

  • Eltern sollten mit ihren Kindern regelmäßig rangeln und raufen, um ihnen zu zeigen, dass zum Ausleben von Aggressionen auch die Befolgung von Regeln gehört. Kämpfe sind wichtig, aber sie müssen auf der Grundlage gegenseitiger Achtung und gegenseitigem Respekts erfolgen.
  • Und es ist darüber hinaus bedeutsam, Kindern wie Frederik soziale Verhaltensweisen zu vermitteln: Wenn ein Kind von einem anderen etwas will, dann muss es dies anders ausdrücken als über ungezügelte Aggressionen. Das Gleiche gilt, wenn sie in Ruhe gelassen werden möchten. Dann muss man keine körperlichen Kräfte einsetzen, sondern ein unmissverständliches Wort wie „Nein!“ tut es auch.

Aus allem wird eine Waffe

Der sechsjährige Raphael hat großen Spaß daran, mit allem, was ihm in die Hände kommt, „herumzuballern“, wie seine Eltern sagen – egal, ob es sich um einen Lego-Stein, eine Playmobil-Figur, einen Ast oder einen Esslöffel handelt. Er hat großen Spaß daran, in jeglicher nur denkbarer Situation „aggressiv den Krieger“ zu spielen. „Und je mehr wir eingreifen“, so die Eltern, „je mehr wir ihm das verbieten, umso schlimmer wird das. Wo soll das nur enden?“

Degen, Pfeil und Bogen sind Waffen, die für die Kinder vom dritten bis zum fünften Lebensjahr, manchmal früher, manchmal später, symbolische Bedeutung haben. Mit ihnen fühlt man sich stark. Verbietet man Kindern diese Gegenstände, dann wird aus jedem noch so waffenfernen Ding eine „Kanone“: aus dem Lego-Stein, dem Löffel oder der Banane. Man muss die Waffen nicht überall dulden! Man legt eine „waffenfreie“ Zone fest und jene Zeiten, in denen sie Verwendung finden können. Und man muss klare Regeln formulieren: zum Beispiel nicht auf Menschen oder Tiere zielen. Wenn Kinder sich so angenommen fühlen, verliert die „Kanone“ schnell an Faszination.

  • Kinder fühlen sich dann in ihrem Wunsch, solche Gegenstände zu besitzen, verstanden, zugleich respektieren sie aber, dass man diese Gegenstände nicht überall hin mitnehmen muss.

Der Umgang mit kindlicher Aggression fordert Eltern und pädagogisch Handelnde heraus. Einfache Antworten gibt es nicht. Man muss sich auf Kinder, ihre Entwicklungsphasen einlassen, den Sinn und die Bedeutung kindlicher Aggressionen verstehen lernen. Aber Verständnis darf nicht mit Akzeptanz verwechselt werden. Dort, wo Grenzen eines zwischenmenschlichen Miteinanders verletzt werden, da gilt es, gelassen, aber mit der nötigen Konsequenz einzugreifen.

 

Weiterführende Artikel und Bücher zum Thema Aggression bei Kindern finden hier. Insbesondere das Buch Kinder dürfen aggressiv sein geht auf das Thema vertieft ein.

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