„Soll man denn nun Kinder zum richtigen Verhalten am Tisch erziehen oder nicht? Wenn man darauf nicht achtet, entsteht doch das reinste Durcheinander?“, fragt eine Mutter, die vehement für Tischmanieren plädiert. Zweifelsohne ist es wichtig, dass Kinder den Wert von Tischsitten erfahren und Mahlzeiten nicht allein bloße Nahrungsaufnahme sind. Nicht allein für Kinder stellt die Atmosphäre, in der man isst und trinkt, einen bedeutsamen Faktor dar. Kinder – vor allem jüngere – essen am liebsten in Gesellschaft. Und dazu brauchen sie Vorbilder.

tischmanieren tischsitten verhalten beim essen„Benimm dich bitte!“ – von Tischmanieren und Essen ohne Dressur.

Wenn Eltern ihr Essen nur so hineinstopfen, machen es Kinder ihnen bald nach. Wenn Eltern zu früh zu Tischmanieren erziehen, bauen Kinder kein lustvolles Verhältnis zum Essen auf. Man muss es also weder sich noch anderen beweisen, dass ein Kind bereits zwischen ein und zwei Jahren einen Ess-Knigge-Kurs mitgemacht hat, als Gourmet auf die Welt gekommen ist, der das Messerbänkchen ebenso souverän benutzt wie das Hummerbesteck. Jüngere Kinder spielen bei Tisch. Und mit Mund, Lippen und Zunge untersuchen sie Speisen. Dies sieht nicht immer ästhetisch aus und die Tischmanieren lassen dabei oft zu wünschen übrig. Aber sinnlicher ist es allemal, und damit beweisen Kinder häufig ihre sensibleren Geschmacksnerven als die erwachsenen Spesenritter, die zwischen den Gängen eines vorzüglichen Menüs eine Zigarette rauchen oder das Handy benutzen.

So klappt es besser mit den „Manieren“ am Tisch

Beherzigt man ein paar pragmatische Tipps, dann gewährleistet das noch kein reibungsloses, dafür sicher aber stimmungsvolleres Miteinander. Kinder haben oft ein kürzere Aufmerksamkeitsspanne als Erwachsene, somit sind auch die Tischmanieren oft nach einer gewissen Zeit nicht mehr so intensiv abrufbar.

  • Zwar ist die Schmuddeltoleranz von Familie zu Familie unterschiedlich, doch ist das Kleckern für jüngste und jüngere Kinder einfach normal. Ein Lätzchen oder eine Auffangschale, ein Wachstuch auf dem Tisch oder unter dem Stuhl kann den Stress, den die Kleckerei mit sich bringt, erheblich reduzieren.
  • Statt Kinder zu früh an die Funktion von Messer, Gabel und Löffel zu gewöhnen, reicht es, wenn sie zunächst nur den Gebrauch des Löffels erlernen. Damit können Kinder experimentieren, ihre Fingerfertigkeit erproben, erfahren, was es bedeutet, Gegenstände in der Hand zu balancieren. Und dass der Löffel ein wunderbares Instrument darstellt, mit dem man Lebensmittel untersuchen, zerkleinern und zermatschen kann, ist für Kinder mit ihrem Einfallsreichtum selbstverständlich.
  • Lange Mahlzeiten sind Kindern ein Gräuel. Je jünger ein Kind ist, umso schneller wird es ungeduldig, verlangt es nach Abwechslung. Das hängt zweifelsohne auch mit dem individuellen Temperament, mit der Atmosphäre, der Geschwisterkonstellation, natürlich auch mit der Qualität des Essens zusammen. Jüngere Kinder können aufkommende Ungeduld durch kleine Spiele bei Tisch abbauen, Vor- und Grundschulkinder ziehen sich gern nach Einnahme der Mahlzeit in eine Spielecke oder das Kinderzimmer zurück.
  • Bei Kindern schwankt der Appetit. Und deshalb sollte der elterliche Zwang, doch mehr zu essen, genauso unterbleiben wie die Aufforderung, Bestimmtes zu essen. So negiert man das Lustprinzip. Bedenken Sie: Kinder lieben „schlechte“ Nahrungsmittel. Dies vor allem dann, wenn es Eltern Schweißperlen auf die Stirn treibt. So notwendig es ist, auf eine ausgewogene Ernährung zu achten, so wichtig ist es für Kinder, in das Land jenseits der Gesundheit zu blicken, um dort hin und wieder von verbotenen Früchten so lange zu naschen, bis einem schlecht wird. Eltern können noch so sehr vor den Bauchschmerzen warnen, die man davon bekommt. Erst wenn Kinder diese fühlen, haben sie einen Begriff von Bauchschmerzen und lassen die verbotenen Früchte beiseite. Oder auch nicht!

Kinder sind was wir ihnen zeigen

Tischmanieren ja, aber vor allem darf das Essen kein Dressurakt sein. Gleichwohl stellt der Familientisch einen sozialen Ort dar, an dem Rücksichtnahme und Gesprächskultur erlernt werden. Wenn in mehr als zwei Drittel aller Familien werktags keine gemeinsame Mahlzeit mehr stattfindet, so verarmt nicht allein die Esskultur, dann verkümmern notwendige Kulturtechniken. Die Auswirkungen kann man beispielsweise beim Mittagessen im Hort oder in der Kindertagesstätte beobachten. Da fangen Kinder an, wann sie wollen, griffe nicht die Erzieherin ein; dann reckt man sich über den Tisch, um Gemüse zu grapschen, ohne sich um die Nachbarn zu scheren, und wer zu Ende gegessen hat, steht auf und lässt das schmutzige Geschirr zurück. Solche Verhaltensweisen lassen Rückschlüsse zu: Diese Kinder erleben nur selten einen Tagesablauf mit regelmäßig wiederkehrenden Mahlzeiten und den entsprechenden Tischmanieren, sie essen häufig allein oder sind auf Selbstbedienung an Kühlschrank oder Mikrowelle angewiesen. Wenn eine Entritualisierung des Kinderalltags so häufig beklagt wird, dann lässt sich diese an der Aufhebung des Familientisches belegen. Die Mahlzeit ist ein Ort der Mitteilung. Aber das macht Tischrituale notwendig. Gerade wenn mehrere Kinder am Tisch sitzen. Dazu einige Tipps, damit nicht automatisch die Person mit der lautesten Stimme gewinnt:

  • Benutzen Sie einen Sprechstein. Wer den in der Hand hält, darf reden.
  • Fragen Sie Ihre Kinder nicht aus! Warten Sie ab, bis die Kinder anfangen, von sich aus zu erzählen. Sie können Ihre Anteilnahme anders zeigen als durch Formulierungen wie: „Wie war’s heute in der Schule?“, „Was habt Ihr im Kindergarten gemacht?“, „Welche Hausaufgaben hast du?“ So etwas empfinden Kinder als Inquisition.
  • Wenn Kinder nichts erzählen, dann beginnen Sie ein Gespräch. Auch Eltern können von ihrem Alltag berichten. Und wenn das keine Vorträge sind, in denen man Lehren für das Leben verteilt und versteckt, hören Kinder gerne zu.

Essen ist kein pädagogisches Instrument

Die Pädagogisierung des Essens, unter der viele Eltern einst gelitten haben, setzt sich bis in die Gegenwart fort: Da zwingt man Kinder zum Essen, nur weil man es nach den fortschrittlichsten Methoden gart. Da belohnt man mit Bonbons oder bestraft mit Süßigkeiten, da negiert man das Lustprinzip beim Essen, indem man es zum erzieherischen Problem aufbauscht, über das Eltern Moral vermitteln und Macht demonstrieren. Dass man bei den Mahlzeiten, auch mit angemessenen Tischmanieren, Geselligkeit und Atmosphäre, Genuss und kommunikatives Miteinander ausdrücken und leben kann – dieser Gedanke kommt in manchen Familien zu kurz.

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * markiert.

Beitragskommentare