Es gibt viele Formulierungen, die für die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern eine Art von Stresstest bedeuten. Dazu gehört der Satz: „Mach ich gleich!“ „Gleich“ bedeutet aus der Sicht vieler Mütter oder Väter ein „Sofort“, aus der Perspektive der Heranwachsenden aber etwas völlig anderes: Für den einen stellt „Gleich“ tatsächlich ein „Sofort“, ein „Augenblickliches“ dar, für den anderen ein: „Ich muss noch mal überlegen!“, für den dritten ein: „Es geht mir alles zu schnell!“ und für den vierten: „Lass mich! Ich bin in meinen Gedanken ganz woanders!“

Aufschieben - mache ich gleichVom Wert und vom Nerv mit der „Aufschieberitis“

Es wäre zum Wimmern, klagt die Mutter von Pia und Magda, sieben und fünf Jahre alt. Wenn sie von denen etwas wolle, „aufräumen oder im Haushalt mithelfen“, dann würden sie „Einverständnis signalisieren!“ „Und woran merken Sie das?“, hake ich nach. „Na, die nicken. Lächeln. Machen wir gleich!“ Sie schüttelt den Kopf: „Gleich!“ Wenn sie dieses Wort nur höre, dann drehe sie durch: „Gleich! Gleich! Gleich!“ Aber nichts passiere, rein gar nichts! Und sie wäre immer „die Blöde!“, die es dann alleine mache. Sie lächelt: „Aber irgendwann ist es ja mit meinem Mann genauso. Wenn der sagt, ich mache es gleich, dann ist Weihnachten!“

Als Anna Schneider, Mutter des zwölfjährigen Ruben von dieser Geschichte hört, schmunzelt sie. „Tja, Männer lernen es nie, für die ist gleich wohl irgendwann! Aber im Ernst!“ Ihr Gesicht verfinstert sich. Sie drehe mit ihrem Sohn manchmal durch, wenn sie sage,  „du musst noch den Tisch abräumen“, dann grinse er sie an: „Mache ich gleich!“ Ihr Gesicht versteinert: „Und was passiert?“ Sie zieht ihre Schultern hoch: „Nichts! Rein gar nichts!“ Und wenn sie dann „ausflippe“, nimmt er sie in den Arm und säuselt: „Nun drehe doch nicht durch!“ Dann würde sie ihn wie eine Hexe anschauen: „Aber ich drehe jetzt durch!“ Sie denkt nach: „Irgendwie ist das ein verfluchtes Ritual zwischen uns!“

Es gibt viele Formulierungen, die für die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern eine Art von Stresstest bedeuten. Dazu gehört der Satz: „Mach ich gleich!“ „Gleich“ bedeutet aus der Sicht vieler Mütter oder Väter ein „Sofort“, aus der Perspektive der Heranwachsenden aber etwas völlig anderes: Für den einen stellt „Gleich“ tatsächlich ein „Sofort“, ein „Augenblickliches“ dar, für den anderen ein: „Ich muss noch mal überlegen!“, für den dritten ein: „Es geht mir alles zu schnell!“ und für den vierten: „Lass mich! Ich bin in meinen Gedanken ganz woanders!“ Und dann gibt es noch jene, die gelangweilt antworten, warum man etwas nicht gemacht habe: „Habe ich vergessen! Chill down!“

Hinter dem „Mach ich gleich!“ verstecken sich viele Botschaften, die die Kinder den Erwachsenen senden, die sie aber nicht sofort entschlüsseln können.

Um mit dem „Mach ich gleich!“ zu beginnen. „Gleich“ ist ja nicht „gleich!“ Kinder haben ein anderes Zeitgefühl. Sie verlieren sich in der Zeit. Wenn sie spielen, dann sind sie vertieft, tauchen ab, sind gefangen in ihrer Fantasiewelt. Man muss sie dabei unterstützen, um sie aus ihrer „Gefangenschaft“ zu „befreien“. Junge Kinder können die Uhr nicht lesen, sie benötigen Unterstützung. Eine Sanduhr, die ihnen zeigt, wann es „soweit ist“, kann dabei hilfreich sein.

Das gilt manchmal bis in die Pubertät hinein. Hier verändert sich der Bio-Rhythmus. Es wird alles anders – aus dem Kind wird ein Erwachsener, mit allen Konsequenzen. Natürlich, der Heranwachsende wird vernünftiger, denkt mehr nach, über sich, über die Welt, über alles – aber irgendwie hat man sich das nicht so vorgestellt. Da ist man fast erwachsen, fühlt sich groß. Und dann sind da diese Zweifel, dieses Unwohlsein! Da ist man morgens müde, unausgeschlafen, da ist man mit sich und der Welt nicht im Einklang – und muss trotzdem in die Schule. Diese Tretmühle!

Pubertierende vergessen viel – und schnell. Wenn man ihnen am Morgen sagt, sie müssten am Nachmittag den Müll hinaustragen, wie es vereinbart war, dann haben sie es kurz darauf vergessen. Nicht aus Bösartigkeit, nicht mit Absicht, um die Eltern zu ärgern! Sie haben es tatsächlich vergessen. Anderes, Wichtigeres steht im Vordergrund. Die Mutter vom zwölfjährigen Max erinnert sich. Irgendwann habe sie kapiert, er könne es tatsächlich nicht, obgleich er es wolle. Sie habe es dann anders gemacht: „Nicht morgens an seine Aufgaben erinnern!“ Das habe ja nichts gebracht. Sie habe ihren Sohn, „fünf oder zehn Minuten, bevor es soweit war, an seine Pflichten erinnert.“ Der habe zwar geschimpft, „vor allem, wenn er am Computer saß“, aber sie wäre beharrlich geblieben, hätte auf die getroffene Absprache bestanden. Und wenn er dann gesagt habe: „Gleich!“, habe sie geantwortet: „Sofort!“ Schnaubend wäre er aufgestanden, habe den Müll hinuntergetragen. Sie fände das in Ordnung, dass er ärgerlich war, besser als wenn er gesäuselt hätte: „Mama, schön, dass du mich erinnert hast!“

Doch noch einmal zurück zu jüngeren Kindern. Zwei Blickwinkel scheinen wichtig: Kinder kommen mit einem ganz eigenen Tempo in diese Welt. Während einige – einem ICE gleich – durch die Welt rasen, alles schnell erfassen, begreifen und tun und auf „die Reihe kriegen“, gilt für andere das Motto „Eile mit Weile“.

Während man die einen – die Schnellzüge – vorsichtig bremsen muss, benötigen die anderen – die Schnecken, die Bedächtigen – mehr Zeit. Sie verlieren sich in ihr. Jüngeren Kindern fehlt es manchmal an einer „inneren Uhr“. Das ist einerseits wunderbar: Sie lassen sich eben nicht stressen, träumen vor sich hin, sind mit sich und der Welt im Einklang. Doch da ist die andere Seite. Natürlich gibt es zeitliche Zwänge, Strukturen: Man muss eben aufräumen! Man muss pünktlich sein! Man muss sich an Absprachen halten!

Für Eltern, für Pädagogen stellt das Zeitgefühl der Kinder, der Heranwachsenden eine Herausforderung dar: Da muss man Verständnis entwickeln, sich in Kinder hineinversetzen, ihre Sichtweise einnehmen, aber da darf man Verständnis eben nicht mit Akzeptanz verwechseln. Bei allem Respekt vor dem Kind, seiner Persönlichkeit, kann das Kind erfahren: Es gibt Sätze, die es zu befolgen gilt. Doch müssen diese Sätze so ausgedrückt sein, dass ein Kind Wahrhaftigkeit spürt. Also: Auf den Satz: „Mach ich gleich!“ ganz bestimmt zu antworten: „Nicht gleich! Sofort!“

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