Publikation: Südwest Presse
Autor: Nicole Reuss, Verena Schühly
Datum: 11.06.2013
Erziehung hat kein festes Ziel, sondern heißt, dass Eltern ihre Kinder begleiten – in guten und schlechten Augenblicken. Für Familienberater Jan-Uwe Rogge brauchen Eltern dazu vor allem Gelassenheit.
“Wie kriegen wir unsere Kinder richtig groß?” Diese Frage stand am Montagabend im Zentrum des Forums der SÜDWEST PRESSE im Stadthaus. Vor rund 250 Zuhörern stand dazu als Gast der von vielen als “Erziehungspapst” titulierte Dr. Jan-Uwe Rogge Rede und Antwort. Die Fragen lieferten Chefredakteur Ulrich Becker, selbst dreifacher Vater, und die Familienredakteurin Ute Gallbronner, Mutter dreier Kinder. Das Gespräch arbeitete sich durch alle Wachstumsphasen: vom Schlafverhalten der Kleinkinder über Trotz- und Schulalter bis zur Pubertät.
In allen Bereichen kam Rogges Grundüberzeugung zum Ausdruck: Eltern brauchen kein festes Programm, sondern in erster Linie Gelassenheit: “Jedes Kind schläft schon irgendwann ein.” Mütter und Väter müssten sich nicht anstrengen, um einen “pädagogischen Oscar” anzustreben: “Wenn sie mal ausflippen, ist das auch okay.” Wichtig sei es, kreativ zu sein – selbst wenn es “pädagogisch mal völlig daneben ist”. Erziehung “ist nicht Vorbereitung aufs Leben” und läuft auf ein feststehendes Ziel hinaus, sondern sie “passiert in jedem Augenblick, wenn Eltern ihre Kinder begleiten”. Dabei gebe es eben gute wie schlechte Momente – und das Ziel sei völlig offen.
Kinder brauchen von Eltern eine feste, verlässliche Bindung – und “keine Totalüberwachung”. Entscheidend sei, betonte Rogge immer wieder, was das Kind wolle, und nicht, was die Eltern wollen.
Überhaupt geht es für den Familienberater in vielen Bereichen nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein Sowohl-als-Auch. Zum Beispiel bei Krippen: “Kinder lernen voneinander. Die gegenseitige Erziehung ist ausgesprochen wichtig.” Dass Kinder beim Abschied weinen, sei in Ordnung. Abschied sei nötig, damit man auf Neues zugehen kann. “Das Leben ist kein Stillstand.” Eltern sollten ihre Kinder nicht mit Ängsten klein halten, sondern sie stark machen. Indem sie zum Beispiel sagen: Du schaffst das, ich vertraue dir.
Eine der schwierigsten Aufgaben für Väter und Mütter ist es für Rogge, die Kinder in all ihren Emotionen anzunehmen: Nicht nur wenn sie lächeln, sondern auch wenn sie böse oder trotzig sind. Selbst wenn das Kind im Supermarkt einen mordsmäßigen Trotzanfall hinlegt. Rogge riet den Eltern im Saal für eine derartige Situation: “Schauen Sie sich die Leute gut an, die Sie dabei anstarren. Und auf den, der am strengsten blickt, gehen Sie zu und sagen: ,Sie sehen so klug aus, Sie können mir bestimmt helfen.” Die Zuhörer quittierten diesen Rat und viele andere mit Beifall und Lachen.