Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema Verbindlichkeit und Geradlinigkeit in der Erziehung. Wie oft darf man eigentlich „weich“ werden? Und wann sollte man Ausnahmen in der Kindererziehung nicht nur zulassen sondern sogar herbeiführen?

Eltern treten ihren Kindern gegenüber häufig sehr verbindlich auf. Das ist gut so! Zeugt das doch von Respekt und Wertschätzung! Zugleich wissen Kinder manchmal nicht, woran sie bei ihnen sind. Da wollen Mütter oder Väter etwas von Ihnen … den Rasen mähen, den Tisch abräumen, pünktlich zu Hause sein, am Mittagstisch mit der Familie sitzen. Aber dieser Wunsch kommt unverbindlich einher. Die Kinder spüren nicht: Ist ihnen das wichtig? Oder doch nicht?

Viele Eltern kleiden ihre Formulierungen im pädagogischen Konjunktiv ein: „Würdest du bitte?“, „Könntest du bitte?“ Kindern ist nicht klar, wie bedeutsam den Eltern die Bedürfnisse sind. Barbara, neun Jahre, bringt ihre Erfahrungen so auf den Punkt: „Wenn Mama ‚bitte‘ sagt, dann ist es noch halb so wild!“

Kindern Regeln und Freiraum geben

Um nicht missverstanden zu werden: Wenn Eltern eine Bitte äußern, dann gehört ein ‚bitte‘ selbstverständlich dazu. Wenn man etwas unbedingt möchte oder will, sagt man das auch deutlich. Also nicht: „Könntest du vielleicht pünktlich am Tisch sein? Alle warten auf dich!“ Also diese Mischung aus einem wehleidigen „Womit hab ich das verdient?“ und einem drohenden „Du wirst schon sehen, was du davon hast!“ Man kann als Vater und Mutter respektvoll und wertschätzend seine Wünsche äußern: „Ich möchte, dass du pünktlich am Tisch bist!“ Das genervte Aufstöhnen des Kindes kann man auslaufen lassen wie eine Welle am Strand. Man muss nicht alles kommentieren.

Wenn Kinder sich an Absprachen reiben, kann das zugleich ein Hinweis darauf sein, dass der Alltag zu sehr verregelt, reglementiert, eingepresst in Absprachen ist. Denn: So notwendig Regeln sind, so notwendig sind Ausnahmen. Kinder wünschen sich Verlässlichkeit, sie wünschen sich Orientierung. Das gibt Sicherheit, bedeutet aber zugleich pure Langeweile.

Manchmal wollen sie das Ungewöhnliche und ihre Handlungen weisen daraufhin: mal nicht mit Messer und Gabel essen, mal nicht still das Essen zu sich nehmen, sondern genussvolllaut und schmatzend, mal nicht um neun im Bett sein, sondern um elf, mal nicht das Frühstück in der Küche, sondern im Bett … Kinder lieben die Ausnahmen, und ihre Reibereien an dem Gewohnten zeigen, wie wichtig ihnen das Leben jenseits der Grenzen ist.

Aber das Reiben an den Grenzen kann durchaus darauf hindeuten, dass gewohnte Regeln nicht mehr passen. Absprachen müssen sich am Alter der Kinder orientieren. Absprachen, die elterlicherseits durchgezogen werden, an denen reibt sich ein Kind. Es zeigt den Eltern: Ich bin älter! Ich möchte emstgenommen werden! Je älter die Kinder werden, umso mehr müssen sich Absprachen verändern. Doch wohlgemerkt: Sie dürfen nicht aufgegeben werden. War bei einem vierjährigen Kind das Gute-Nacht-Ritual um zwanzig Uhr, so wird dies nun um halb neun gestaltet, weil es sich zuvor am gewohnten Ritual gerieben hat.

Nochmal: Wenn sich Kinder an Absprachen reiben, so ist das normal! Aber man sollte drei Grundsätze beherzigen:

  • Kinder brauchen feste Regeln, aber es ist normal, wenn sie sich damit auseinandersetzen. Absprachen geben Orientierung, die Kinder brauchen.
  • Zu jeder Regel gehört eine Ausnahme. Wenn der Alltag verregelt ist, dann wird Lebensfreude unterbunden.
  • Absprachen müssen altersangemessen sein. Stellen Kinder Absprachen in Frage, dann wollen sie nicht die Absprachen außer Kraft setzen, sondern, dass man sie entwicklungsangemessen verändert.